Montag, 10. Mai 2010

Sport ist Mord

Da bin ich mal wieder, um euch zum x-ten Male nach weit mehr als einem Monat mit den neusten, laengst ueberfaelligen Dritte-Welt-Infos zu versorgen. Sorry, dass es bei mir immer etwas laenger dauert. Hab mich zu sehr an die Filipino-Time gewoehnt.

Dann fang ich doch gleich mit dem wichtigsten und traumatischsten Teil der Berichterstattung an:
Am 1. Mai - wenigstens kann man sich das Datum leicht merken - sind 3 Bergmenschen und ich (Bukid heisst Berg auf Waray-Waray und ist der Name der Kletternhalle, in der ich meine Zeit mit Rumspringen an Kletterwaenden verbringe) nach Marabut gefahren, um nach 2 Wochen wieder im Freien zu bouldern. Wojtek war an diesem Tag nicht allzuweit entfernt im Leyte-Park-Resort schnorcheln und am Strand ausspannen. Wie verabredet haben wir ihn irgendwannmal abgeholt und zur Felsenkette geschleppt, wegen der wir den Trip gemacht haben. Ausserdem waren noch andere bekannte Gesichter im Resort zugange, die uns zugucken/mitklettern wollten und uns deshalb gefolgt sind. Damit sind aus vier Bergmenschen 8 geworden, als wir am Fels ankamen.

Und dann, kurze Zeit spaeter, hat Wojtek den bisher wohl groessten Einschnitt in sein Leben erlebt:
Nach ein paar Minuten, als er sich ein weiteres Mal an den Felsen getraut hat, ist ein ziemlich grosser Teil davon - schaetzungsweise 150 Kilo Stein - in ungefaehr 2 Metern Hoehe abgebrochen, und, nachdem Wojtek aufgrund von ploetzlich fehlendem Halt auf dem Boden gelandet ist, auf seinem Bein gelandet. Am gleichen Teil des Felsen haben wir uns beide vorher schon mehrmals festgehalten, weshalb relativ ueberraschend war, dass der ganze Brocken abgefallen ist, nachdem sich Wojtek nochmal drangehangen hat.
An die Verletzung kann ich mich auch bildlich noch ziemlich genau erinnern:
Jeweils ein tiefer Einschnitt bis zum Knochen in Ober- und Unterschenkel, viele durchtrennte Muskeln, Sehnen und Blutgefaesse, ein zerquetschter Fuss und mindestens ein Knochenbruch unterhalb des Knies.
Nach den ersten Sekunden des Schocks und in der Gewissheit, dass der Felsen ebenso haette mich zerquetschen koennen, weil ich 20 Sekunden vorher die gleiche Route abgeklettert bin, hab ich langsam begonnen, die Situation zu erfassen:
Starke Verletzung, starke Blutung, mindestens 5 Minuten zu den naechsten Menschen entfernt und vllt. 25 Minuten zum Resort, also zu den naechsten Menschen, die helfen koennten. Nicht gerade vorteilahft.
Wojteks erste Reaktion auf die Verletzung ging, wenn ich mich richtig erinnere, in Richtung "Scheisse. Das Bein is ab, kannste vergessen. Scheisse! Wieso jetzt?". Dabei hat er noch ziemlich gelassen gewirkt. Obwohl man schon gemerkt hat, dass die Wunde wehgetan haben muss.
Auch die naechsten 2 Minuten, in denen er noch bei Bewusstsein sein war, hat der Kerl nen kuehlen Kopf bewahrt. Ihm ist beispielsweise schneller als mir klar geworden, dass man die Arterie im Oberschenkel abdruecken muesste, damit er nicht allzuviel Blut verliert.
Nachdem ich einige der in Panik verfallenen Filipinos schreiend dazu aufgefordert habe, Hilfe zu holen - was gluecklicherweise geklappt hat - haben n Filipino und ich Wojteks Oberschenkel mit dem Gedanken "besser mehr als weniger" dreifach abgeschnuert und gehofft, dass es reicht. Danach konnte ich nurnoch auf Hilfe warten und Wojtek mit gutem Zureden oder leichten Backpfeifen wach halten.
Durch puren Zufall sind die Hilfesuchenden irgendwelchen Pfadfindern begegnet, die unter anderem den Abtransport von Verletzten und anderes Erste-Hilfe-Zeug fuer solche Situationen trainiert haben. Was fuer ein Scheissglueck im Unglueck das doch war. Keiner von den Kletterern (inklusive mir) hatte die geringste Ahnung davon, wie wir ihn zu nem Auto haetten bringen koennen. Im Gegenteil dazu haben die Pfadfinder nicht nur mit der Situation umzugehen gewusst, sondern auch noch ziemlich schnell gehandelt:
Nachdem sie sein Bein fixiert und ne Trage aus T-Shirts und 2 langen, dicken Holzstoecken gebaut haben, haben wir ihn zu sechst 10 Minuten durch Gebuesch zu nem Auto mit grossem Kofferraum und mit diesem in ein Krankenhaus in Tacloban gebracht.

Wojtek hat alles in allem ungefaehr 2,5 Stunden mit offener Wunde, ohne aerztliche Hilfe, mit relativ schlecht fixiertem Bein und dementsprechend mit ziemlich starken Schmerzen verbringen muessen. Die hochqualitativen Strassen Eastern Samars und die Fahrweise des Fahrers haben auch eher zur Haeufung von Fluechen als zur Linderung seiner Schmerzen beigetragen.
Fast die ganze Zeit, also ungefaehr 2,5 Stunden, durfte ich neben ihm sitzen oder stehen und versuchen, ihn wachzuhalten oder ihm sonstwie behilflich zu sein.

Mit der Ankunft im Bethany-Hospital war der Tag aber noch lange nicht vorbei. Im Krankenhaus - das Beste in Tacloban, der Hauptstadt einer Region, in der 4 Millionen Menschen leben - gab's naemlich kein Blut. Im Roten Kreuz schon, aber leider nicht seine Blutgruppe. Dementsprechend war Wojtek noch nicht 100%ig ueberm Berg. Nach mehreren Stunden Blutsuche durch die vereinten Kraefte von ungefaehr 20 Freunden Wojteks (wahrscheinlich wusste halb Region 8 von Wojteks Blutdurst) haben wir einen ganzen Menschen gefunden, der als Spender in Frage kam - einen der Palo-Freiwilligen. Einen halben Liter von den benoetigten 2 haben wir also organisieren koennen. Warum sie mein Blut nicht wollten, obwohl ich Universal-Spender bin, weiss ich auch nicht. In Wikipedia steht irgendetwas von der Minor-Reaktion, die auftreten kann. Vllt. lag's ja daran.

Noch dringender als die Blutsuche war aber die Frage, ob sein Bein dranbleiben sollte. Nachdem der Arzt n bisschen an seinem Bein rumgebastelt und n paar Knochen herausgenommen hat, hat er nach einer Entscheidung von Wojtek, seiner Freundin oder irgendwem sonst verlangt, der die Verantwortung uebernehmen wollte: versuchen zu retten - oder abschneiden? Zum Glueck war Wojtek bei Bewusstsein und konnte uns sagen, dass wir ihm sagen sollten, dass jede Entscheidung, die in Richtung Amputation ginge, erst in Manila getroffen werden sollte. Da wollte er naemlich so schnell wie moeglich hin, weil's dort wesentlich bessere Behandlungsmoeglichkeiten gibt. Die Suche nach nem Flug in die philippinische Hauptstadt sollte sich aber wie die Suche nach dem Blut als relativ schwierig herausstellen - einerseits war's Wochenende, andererseits kann der Papierkram bei Antraegen auf Verletztenfluege sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Von 3 Tagen war die Rede. Leider hatte Wojtek keine 3 Tage.

Am naechsten Tag konnte Wojtek dank der Hilfe Claudias und anderer Menschen und trotz seines Zustandes nach Manila geflogen, dort mit Blut versorgt und richtig behandelt werden.
Einen weiteren Tag spaeter hab ich dann erfahren, dass sie das Bein trotz aller Bemuehungen amputieren muessten. Termin fuer die OP: 15:00 Uhr.

Ja. Das war glaub ich der aufregenste Tag meines bisherigen Auslandsaufenthaltes und eine der praegendsten Erfahrungen meines Lebens. Besonders so nem Halb-Pazifisten und zukuenftigen Medizinstudenten wie mir, dem so etwas zum ersten Mal passiert ist, hat die Situation viel zu denken gegeben.
Unter anderem weiss ich jetzt, dass ich in Situationen wie dieser nicht ausflippe, in Panik verfalle oder wegrenne. Geistig zerstoert hat mich seine Verletzung, sein Rumgeschreie und das Zugucken bei der Behandlung seines Beins auch nicht. Von den Beteiligten bin ich wohl der, der die ganze Situation am besten ueberstanden hat.
Wenn ich also nicht der ideale Arzt sein werde, wird's wohl keiner ;P

Wojtek geht's uebrigens gut. Er muss noch n paar Wochen in Manila bleiben, bevor er zur Reha nach Deutschland fliegen kann. Dort geh ich ihn auf jeden Fall besuchen.
Wie er's psychologisch ueberstehen wird, wissen wohl nur er und irgendwelche professionellen Psychologen. Depressiv hat er sich am Telefon jedenfalls nicht angehoert.

So. Und jetzt wieder weg von Wojtek, seinem Bein und der schlechten Stimmung.
Weiter geht's mit der Berichterstattung. Bleiben wir mal beim Klettern.
Meine Kletterschuhe sind naemlich endlich da! So ewig hab ich mich auf die Dinger gefreut, so schoen sind sie geworden, und doch quaelen sie mich zu Tode, weil ich noch keine verkrueppelten, haesslichen Klettererfuesse hab. Aber keine Sorge, das kommt noch.
Die Schuhe sind jedenfalls das Engste, in das ich in meinem Leben... nein, warte. Die Schuhe sind einfach nur sehr, sehr eng.
Dominique, n guter, filipinischer Kumpel, ist wegen ner Hochzeit eines anderen Kletterkumpanen nach Manila gereist und hat dort die Schuhe fuer mich aufgetrieben. Vom momentanen philippinischen Climbing-Champion. Ganze 4250 Pesos haben die mich gekostet - das sind rund 70 Euro und damit fast die Haelfte meines Monatslohns.
Kurz vorher war Vincent in Manila und hat ebenfalls versucht, Schuhe fuer mich aufzutreiben. Ungluecklicherweise wusste er nicht, wie Kletterschuhe aussehen. Und n Bild von nem Kletterschuh hat ihm irgendwie auch nicht dabei helfen koennen, sich ne bessere Vorstellung von solchen Dingern machen zu koennen. Naja. Danke trotzdem fuer den Versuch :D

Das Klettern waechst hier zu meinem neuen Hauptsport aus. 3 - 5 Mal die Woche mach ich das an der Kletterwand im Bukid-Outdoorshop ("Berg" auf Waray Waray), gelegentlich kommen dazu Fels-Erkundungstouren am Wochenende. 4 Mal waren wir bis jetzt Outdoor klettern, und jedesmal war's einfach nur uebergeil (obwohl das vierte Mal nicht allzu schoen geendet ist - das muss ich zugeben). Felsen examinieren, Routen finden, abklettern, naechsten Felsen rannehmen. Wenn die Routen dann noch in hoehere Gefilde ragen, werden Massen an Adrenalin ausgestossen, die biologisch kaum produzierbar sein muessten. Aufregung pur.
Immer den Gedanken "Hoch oder sehr, sehr weit runter" im Hinterkopf geht's hoeher und hoeher, bis man irgendwannmal wieder runter muss, was meistens noch viel lustiger als der Aufstieg is. Zwei meiner Kletterkumpanen haben schon mehr als 20 Minuten auf Felssimsen verbracht, weil sie keinen Weg runter gefunden haben.
Um sich zu verstaendigen, werden die Routen mit irgendwelchen Namen versehen, an die sich jeder erinnern kann. Zu den coolsten Routen gehoeren beispielsweise "Hurts like Hell", "Where Winnie the Poo died", "Hourts even more than Hell", "Fuck ze Bitch", "Route of Death Version XIII.4.2" oder "Why just now?!".

Anfang April wurd' ich Dritter in 'nem Kletterwettkampf und hab so ganze 200 Pesos (3 Euro!) + Aufkleber + noch irgendwas gewonnen :D

Kurz danach, auch irgendwann im April, hab ich nen "deutschen" Abend bei mir in der Lagerhalle geschmissen und 5 Freunde aus'm Bukid eingeladen. Sie durften das erste Mal in ihrem Leben Chili con Carne und Bratkartoffeln essen. Very delicious it was, yes!
N bisschen was Russisches hab ich auch eingebracht: jeder musste vor dem koestlichen Mahl nen Schuss Wodka trinken, der ungefaehr 5 ihrer normalen Shots gleicht. Dementsprechend lustig war's auch ne kurze Zeit spaeter.

Die haben an dem Abend richtig viel Zeugs ueber's filipinische Leben erzaehlt, das ich zum allerersten Mal gehoert habe. Nach fast 8 Monaten :/
Ausserdem haben sie mir ihre von ihren witzigen Vorstellungen ueber Europa erzaehlt. Ich musste mich mehrmals fragen, ob sie mich gerade verarschen. Dem war aber nicht so. Das Zerschlagen ihrer Sicht und das Weiterverbreiten meiner Sicht Europas hat aber auch Spass gemacht.

Das war auch der Abend, an dem ich mit meiner neuen, kleinen Freundin zusammengekommen bin :) Sie gehoert zwar nich' zum Bukid-Trupp, war aber trotzdem da. Leslie ist ihr Name, und eigentlich kenn ich sie seit den ersten Wochen in Tacloban. Nachdem ich durch Zufall wieder Kontakt mit ihr aufgenommen hab, sind mir ihre hervorragenden Qualitaeten zum ersten Mal richtig aufgefallen. Is n hoechst symphatisches, suesses, kleines, 23-jaehriges Maedel, dass mich fasziniert. Sie is aber nich nur aelter als mein grosser Bruder Andi, sondern auch wesentlich klueger und schoener. Obwohl sie's mit seinem Humor nich aufnehmen kann :D
By the way, Andi: Ich glaub, ich wuerd was mit dir anfangen, wenn du nich mein Bruder, sondern n heisses suedamerikanisches Maedel waerst.
Wie auch immer: Wenn das mal kein gelungener Abend war.

Irgendwann im April (war's der 11.?) hatte Wojtek Geburtstag. Mit viel Tanduay und noch mehr Futter sind wir nach Inopacan gefahren und von dort aus nach Digyo Island geschwommen (mit dem Boot, keine Sorge). Dort haben wir seinen Geburtstag 2 Tage lang gefeiert. Fuer den Spass haben ausser dem Alkohol noch Nacht-Schnorcheln, Kiten (mit 3 qm Trainings-Kite durch die Luft geschleudert werden, woohoo) und Poys gesorgt. War n ziemlich cooler Geburtstag. Und hammergeil, was einem nachts im Wasser so ueber den Weg laeuft. Aale, die aussehen wie Seeschlangen (farbtechnisch, mein ich), massig Schnecken, Muraenen, irgendwelche Glibber-Wuermer, viele Krebse und Langusten, und und und. Mir sind da ganz viele Bilder aus "Arielle die Meerjungfrau" durch den Kopf geschossen. Fast schon realistisch, wie die Unterwasserwelt dort dargestellt wird :D
Mama: dein naechstes Kind zwingst du bitte, tauchen zu gehen anstatt es Arielle gucken zu lassen. Is' wesentlich spannender und viel ungefaehrlicher.

So. Mein Schreibtrieb hat sich gelegt. Wenn mich demnaechst wieder n Anfall anfaellt, schreib ich bisschen was ueber die Gedanken, die mir in letzter Zeit durch den Kopf schiessen; darueber, was ich in letzter Zeit auf den Philippinen getrieben hab und was ich so plane. Wenn nicht, dann eben nicht. Ciaociao!

1 Kommentar:

  1. geiler beitrag :) ich wünschte, ich könnte dich besuchen!

    AntwortenLöschen